Max Stirner

Das unwahre Princip unserer Erziehung

(1842)

 


 

Anmerkung

Auch wenn Stirners Botschaft ziemlich schwer und umständlich ist, so ist sie doch klar: Wissen muss in den Willen zum Handeln umgewandelt werden, um ein wahres Wissen und ein Vorspiel zur Freiheit des Menschen zu sein, die das eigentliche Ziel jedes Bildungsprozesses ist.

Quelle: Auszug aus Das unwahre Princip unserer Erziehung, Rheinische Zeitung, 1842.

 


 

Das ist das Ende und zugleich die Unvergänglichkeit, die Ewigkeit des Wissens: das Wissen, das wieder einfach und unmittelbar geworden, als Wille sich (das Wissen) in jeder Handlung von neuem und in neuer Gestalt setzt und offenbart. Nicht der Wille ist von Haus aus das Rechte, wie uns die Praktischen gerne versichern möchten, nicht überspringen darf man das Wissenwollen, um gleich im Willen zu stehen, sondern das Wissen vollendet sich selbst zum Willen, wenn es sich entsinnlicht und als Geist, „der sich den Körper baut,“ sich selbst erschafft. Darum haften an jeder Erziehung, die nicht auf diesen Tod und diese Himmelfahrt des Wissens ausgeht, die Gebrechen der Zeitlichkeit, die Formalität und Materialität, der Dandismus und Industrialismus. Ein Wissen, welches sich nicht so läutert und concentriert, dass es zum Wollen fortreisst, oder mit anderen Worten, ein Wissen, welches mich nur als ein Haben und Besitz beschwert, statt ganz und gar mit mir zusammengegangen zu sein, so dass das freibewegliche Ich, von keiner nachschleppenden Habe genirt, frischen Sinnes die Welt durchzieht, ein Wissen also, das nicht persönlich geworden, gibt eine ärmliche Vorbereitung aufs Leben ab. Man will es nicht zur Abstraktion kommen lassen, worin doch erst die wahre Weihe allem concreten Wissen verliehen wird: denn durch sie wird der Stoff wirklich getödtet und in Geist verwandelt, dem Menschen aber die eigentliche und letzte Befreiung gegeben. Nur in der Abstraktion ist die Freiheit: der freie Mensch nur der, welcher das Gegebene überwunden und selbst das aus ihm fragweise Herausgelockte wieder in die Einheit seines Ich’s zusammengenommen hat.

Ist es der Drang unserer Zeit, nachdem die Denkfreiheit errungen, diese bis zu jener Vollendung zu verfolgen, durch welche sie in die Willensfreiheit umschlägt, um die letztere als das Princip einer neuen Epoche zu verwirklichen, so kann auch das letzte Ziel der Erziehung nicht mehr das Wissen sein, sondern das aus dem Wissen geborene Wollen, und der sprechende Ausdruck dessen, was sie zu erstreben hat, ist: der persönliche oder freie Mensch. Die Wahrheit selbst besteht in nichts Anderem als in dem Offenbaren seiner selbst, und dazu gehört das Auffinden seiner selbst, die Befreiung von allem Fremden, die äusserste Abstraktion oder Entledigung von aller Autorität, die wiedergewonnene Naivität. Solche durchaus wahre Menschen liefert die Schule nicht; wenn sie dennoch da sind, so sind sie es trotz der Schule. Diese macht uns wohl zu Herrn über die Dinge, allenfalls auch zu Herrn über unsere Natur; zu freien Naturen macht sie uns nicht. Kein noch so gründliches und ausgebreitetes Wissen, kein Witz und Scharfsinn, keine dialektische Feinheit bewahrt uns vor der Gemeinheit des Denkens und Wollens. Es ist wahrlich nicht das Verdienst der Schule, wenn wir nicht die Selbstsucht aus ihr mitbringen. Jede Art entsprechender Eitelkeit und jede Art der Gewinnsucht, Aemtergier, mechanischer und serviler Dienstbeflissenheit, Achselträgerei u.s.w. verbindet sich sowohl mit dem ausgebreiteten Wissen als mit der eleganten, klassischen Bildung, und da dieser ganze Unterricht keinerlei Einfluss auf unser sittliches Handeln ausübt, so verfällt er häufig dem Loose, so weit vergessen zu werden, als er nicht gebraucht wird: man schüttelt den Schulstaub ab.

Und dies Alles darum, weil die Bildung nur im Formellen oder im Materiellen, höchstens in Beiden gesucht wird, nicht in der Wahrheit, in der Erziehung des wahren Menschen. Die Realisten machen zwar einen Fortschritt, indem sie verlangen, der Schüler solle das finden und verstehen, was er lernt: Diesterweg z.B. weiss viel von dem „Erlebungsprincip“ zu reden; allein das Object ist auch hier nicht die Wahrheit, sondern irgendein Positives (wohin auch die Religion zu rechnen), das der Schüler mit der Summe seines übrigen positiven Wissens in Uebereinstimmung und Zusammenhang zu bringen angeleitet wird, ohne irgend eine Erhebung über die Vierschrötigkeit des Erlebens und Anschauens, und ohne allen Anreiz, mit dem Geiste, welchen er durch Anschauung gewonnen, weiter zu arbeiten und aus ihm zu producieren d.h. spekulativ zu sein, was praktisch so viel sagen will, als zu sein und sittlich zu handeln.

Im Gegenteil, verständige Leute zu erziehen, das soll genügen; auf vernünftige Menschen ist’s nicht eigentlich abgesehen; Dinge und Gegebenes zu verstehen, dabei hat’s sein Bewenden, - sich zu vernehmen, scheint nicht Jedermanns Sache zu sein. So fördert man den Sinn für das Positive, sei es nach seiner formellen oder zugleich nach seiner materiellen Seite, und lehrt: sich in das Positive schicken. Wie in gewissen anderen Sphären, so lässt man auch in der pädagogischen die Freiheit nicht zum Durchbruch, die Kraft der Opposition nicht zu Worte kommen: man will Unterwürfigkeit. Nur ein formelles und materielles Abrichten wird bezweckt, und nur Gelehrte gehen aus den Menagerien der Humanisten, nur „brauchbare Bürger“ aus denen der Realisten hervor, die doch beide nichts als unterwürfige Menschen sind. Unser guter Fond von Ungezogenheit wird gewaltsam erstickt und mit ihm die Entwicklung des Wissens zum freien Willen. Resultat des Schullebens ist dann das Philistertum. Wie wir uns in der Kindheit in alles zu finden gewöhnten, was uns aufgegeben wurde, so finden und schicken wir uns später ins positive Leben, schicken uns in die Zeit, werden ihre Knechte und sogenannte gute Bürger. Wo wird denn an Stelle der bisher genährten Unterwürfigkeit ein Oppositionsgeist gestärkt, wo wird statt des lernenden Menschen ein schaffender erzogen, wo verwandelt sich der Lehrer in den Mitarbeiter, wo erkennt er das Wissen als umschlagend in das Wollen, wo gilt der freie Mensch als Ziel, und nicht der blos gebildete?

Leider nur erst an wenigen Orten. Die Einsicht muss aber allgemeiner werden, dass nicht die Bildung, die Civilisation, die höchste Aufgabe des Menschen ausmacht, sondern die Selbstbethätigung. Wird darum die Bildung vernachlässigt werden? Gerade so wenig, als wir die Denkfreiheit einzubüssen gesonnen sind, indem wir sie in die Willensfreiheit eingehen und sich verklären lassen. Wenn der Mensch erst seine Ehre darein setzt, sich selbst zu fühlen, zu kennen und zu bethätigen, also in Selbstgefühl, Selbstbewusstsein und Freiheit, so strebt er von selbst, die Unwissenheit, die ihm ja den fremden, undurchdrungenen Gegenstand zu einer Schranke und Hemmung seiner Selbsterkenntniss macht, zu verbannen. Weckt man in den Menschen die Idee der Freiheit, so werden die Freien sich auch unablässig immer wieder selbst befreien; macht man sie hingegen nur gebildet, so werden sie sich auf höchst gebildete und feine Weise allezeit den Umständen anpassen und zu unterwürfigen Bedientenseelen ausarten. Was sind unsere geistreichen und gebildeten Subjekte grösstentheils? Hohnlächelnde Sklavenbesitzer und selber — Sklaven.

Die Realisten dürfen sich des Vorzugs rühmen, dass sie nicht blosse Gelehrte erziehen, sondern verständige und brauchbare Bürger: ja ihr Grundsatz: „man lehre Alles mit Beziehung auf das praktische Leben“ könnte sogar als das Motto unserer Zeit gelten, wenn sie die wahre Praxis nur nicht in gemeinem Sinn auffassten. Die wahre Praxis ist aber nicht die, sich durch’s Leben durchzuarbeiten, und das Wissen ist mehr werth, als dass man es verbrauchen dürfte, um damit seine praktischen Zwecke zu erjagen. Vielmehr ist die höchste Praxis die, dass ein freier Mensch sich selbst offenbart, und das Wissen, das zu sterben weiss, ist die Freiheit, welche Leben gibt. „Das praktische Leben!“ Damit glaubt man sehr viel gesagt zu haben, und doch führen selbst die Tiere ein durchaus praktisches Leben, sobald die Mutter sie ihrer theoretischen Säuglingschaft entwöhnt hat, und suchen entweder nach Lust in Feld und Wald ihr Futter, oder werden ins Joch eines — Geschäftes eingespannt. Der thierseelenkundige Scheitlin würde den Vergleich noch viel weiter führen, bis in die Religion hinein, wie zu ersehen aus seiner „Thierseelenkunde“, einem gerade darum sehr belehrenden Buche, weil es das Thier dem civilisirten Menschen und den civilisirten Menschen dem Thiere so nahe rückt. Jene Intention, „fürs praktische Leben zu erziehen“, bringt nur Leute von Grundsätzen hervor, die nach Maximen handeln und denken, keine principiellen Menschen; legale Geister, nicht freie.

Etwas ganz anderes aber sind Menschen, in denen die Totalität ihres Denkens und Handelns in steter Bewegung und Verjüngung wogt, und etwas anderes solche, die ihren Ueberzeugungen treu sind: die Ueberzeugungen selbst bleiben unerschüttert, pulsiren nicht als stets erneutes Arterienblut durch das Herz, erstarren gleichsam als feste Körper und sind, wenn auch erworben und nicht eingelernt, doch etwas Positives und gelten noch obenein als etwas Heiliges. So mag die realistische Erziehung wohl feste, tüchtige, gesunde Charaktere erzielen, unerschütterliche Menschen, treue Herzen, und das ist für unser schleppenträgerisches Geschlecht ein unschätzbarer Gewinn; allein die ewigen Charaktere, in welchen die Festigkeit nur in dem unablässigen Fluthen ihrer stündlichen Selbstschöpfung besteht, und die darum ewig sind, weil sie sich in jedem Augenblicke selbst machen, weil sie die Zeitlichkeit ihrer jedesmaligen Erscheinung aus der nie welkenden und alternden Frische und Schöpfungsthätigkeit ihres ewigen Geistes setzen – Die gehen nicht aus jener Erziehung hervor. Der sogenannte gesunde Charakter ist auch im besten Falle nur ein starrer; soll er ein vollendeter sein, so muss er zugleich ein leidender werden, zuckend und schauernd in der seligen Passion einer unaufhörlichen Verjüngung und Neugeburt.

So laufen denn die Radien aller Erziehungen in dem Einen Mittelpunkte zusammen, welcher Persönlichkeit heisst. Das Wissen, so gelehrt und tief, oder so breit und fasslich es auch sei, bleibt so lange doch nur ein Besitz und Eigenthum, als es nicht in dem unsichtbaren Punkt des Ich’s zusammengeschwunden ist, um von da als Wille, als übersinnlicher und unfasslicher Geist allgewaltig hervorzubrechen. Das Wissen erfährt diese Umwandlung dann, wenn es aufhört, nur an Objekten zu haften, wenn es ein Wissen von sich selbst, oder, falls dies deutlicher scheint, ein Wissen der Idee, ein Selbstbewusstsein des Geistes geworden ist. Dann verkehrt es sich so zu sagen in den Trieb, den Instinkt des Geistes, in ein bewusstloses Wissen, von dem sich Jeder wenigstens eine Vorstellung zu machen vermag, wenn er es damit vergleicht, wie so viele und umfassende Erfahrungen bei ihm selbst in das einfache Gefühl sublimirt wurden, das man Takt nennt: alles aus jenen Erfahrungen gezogene weitläufige Wissen ist in ein augenblickliches Wissen koncentrirt, wodurch er im Nu sein Handeln bestimmt. Dahin aber, zu dieser Immaterialität, muss das Wissen durchdringen, indem es seine sterblichen Teile opfert und als Unsterbliches - Wille wird.

In diesem Umstande liegt grossentheils die Noth unserer seitherigen Erziehung, dass das Wissen nicht zum Willen, zur Bethätigung seiner selbst, zur reinen Praxis sich läuterte. Die Realisten fühlten den Mangel, halfen ihm jedoch auf eine elende Weise dadurch ab, dass sie ideenlose und unfreie „Praktiker“ ausbildeten. Die meisten Seminaristen sind ein lebendiger Beleg dieser traurigen Wendung. Zugestutzt auf’s Trefflichste stutzen sie wieder zu, dressirt dressiren sie wieder. Persönlich aber muss jede Erziehung werden, und vom Wissen ausgehend doch stets das Wesen desselben im Auge behalten, dies nämlich, — dass es nie ein Besitz, sondern das Ich selbst sein soll. Mit Einem Worte, nicht das Wissen soll angebildet werden, sondern die Person soll zur Entfaltung ihrer selbst kommen; nicht vom Civilisiren darf die Pädagogik ferner ausgehen, sondern von der Ausbildung freier Personen, souverainer Charaktere; und darum darf der Wille, der bisher so gewaltthätig unterdrückte, nicht länger geschwächt werden. Schwächt man ja doch auch den Wissenstrieb nicht, warum denn den Willenstrieb? Pflegt man jenen, so pflege man auch diesen.

Die kindliche Eigenwilligkeit und Ungezogenheit hat so gut ihr Recht als die kindliche Wissbegierde. Die letztere regt man geflissentlich an; so rufe man auch die natürliche Kraft des Willens hervor, die Opposition. Wenn das Kind sich nicht fühlen lernt, so lernt es gerade die Hauptsache nicht. Man erdrücke seinen Stolz nicht, seinen Freimuth. Gegen seinen Übermuth bleibt meine eigene Freiheit immer gesichert. Denn artet der Stolz in Trotz aus, so will das Kind mir Gewalt anthun; das brauche ich mir, der ich ja selbst so gut als das Kind ein Freier bin, nicht gefallen zu lassen. Muss ich mich aber durch die bequeme Schutzwehr der Autorität dagegen vertheidigen? Nein, ich halte die Härte meiner eigenen Freiheit entgegen, so wird der Trotz der Kleinen von selbst zerspringen. Wer ein ganzer Mensch ist, braucht keine — Autorität zu sein. Und bricht der Freimuth als Frechheit aus, so verliert diese ihre Kraft an der sanften Gewalt eines ächten Weibes, an ihrer Mütterlichkeit, oder an der Festigkeit des Mannes; man ist sehr schwach, wenn man die Autorität zu Hilfe rufen muss, und sündigt, wenn man glaubt, den Frechen zu bessern, sobald man aus ihm einen Furchtsamen macht. Furcht und Respekt fordern, das sind Dinge, die mit der heimgegangenen Periode dem Roccoco-Styl angehören.

Worüber klagen wir also, wenn wir die Mängel unserer heutigen Schulbildung ins Auge fassen? Darüber, dass unsere Schulen noch im alten Principe stehen, in dem des willenlosen Wissens. Das junge Princip ist das des Willens, als der Verklärung des Wissens. Darum kein „Konkordat zwischen Schule und Leben“, sondern die Schule sei Leben, und dort, wie ausser ihr, sei die Selbstoffenbarung der Person die Aufgabe. Die universelle Bildung der Schule sei Bildung zur Freiheit, nicht zur Unterwürfigkeit: Freisein, das ist das wahre Leben. Die Einsicht in die Leblosigkeit des Humanismus hätte den Realismus zu dieser Erkenntnis treiben sollen. Indess gewahrte man an der humanistischen Bildung nur den Mangel aller Befähigung zum sogenannten praktischen (bürgerlichen — nicht persönlichen) Leben, und wendete sich, im Gegensatze wider jene bloss formelle Bildung, einer materiellen Bildung in der Meinung zu, dass man durch Mitteilung des im Verkehr brauchbaren Stoffes nicht nur den Formalismus überwinden, sondern auch das höchste Bedürfniss befriedigen werde. Allein auch die praktische Bildung steht noch weit zurück hinter der persönlichen und freien, und gibt jene die Geschicklichkeit, sich durch’s Leben zu schlagen, so verschafft diese die Kraft, den Feuerfunken des Lebens aus sich herauszuschlagen; bereitet jene darauf vor, sich in einer gegebenen Welt zu Hause zu finden, so lehrt diese, bei sich zu Hause zu sein. Wir sind noch nicht alles, wenn wir uns als nützliche Glieder der Gesellschaft bewegen; wir vermögen vielmehr selbst dies erst dann vollkommen, wenn wir freie Menschen, selbstschöpferische (uns selbst schaffende) Personen sind.

Ist nun die Idee und der Trieb der neuen Zeit die Willensfreiheit, so muss der Pädagogik als Anfang und Ziel die Ausbildung der freien Persönlichkeit vorschweben. Humanisten wie Realisten beschränken sich noch auf’s Wissen, und wenn’s hoch kommt, so sorgen sie für das freie Denken und machen uns durch theoretische Befreiung zu freien Denkern. Durch das Wissen werden wir indess nur innerlich frei (eine Freiheit übrigens, die nie wieder aufgegeben werden soll), äusserlich können wir bei aller Gewissens- und Denkfreiheit Sklaven und in Unterthänigkeit bleiben. Und doch ist gerade jene für das Wissen äussere Freiheit für den Willen die innere und wahre, die sittliche Freiheit.

In dieser darum universellen Bildung, weil in ihr der Niedrigste mit dem Höchsten zusammentrifft, begegnen wir erst der wahren Gleichheit Aller, der Gleichheit freier Personen: nur die Freiheit ist Gleichheit.

Man kann, wenn man einen Namen will, über die Humanisten und Realisten die Sittlichen (ein deutsches Wort) stellen, da ihr Endzweck die sittliche Bildung ist. Doch kommt dann freilich gleich der Einwand, dass uns diese wieder für positive Sittlichkeitsgesetze werden ausbilden wollen, und dass das im Grunde schon bisher immer geschehen sei. Weil es aber bisher geschehen ist, so meine ich das auch nicht, und dass ich die Kraft der Opposition geweckt, den Eigenwillen nicht gebrochen, sondern verklärt wissen will, das könnte den Unterschied hinreichend verdeutlichen. Um indess die hier gestellte Forderung selbst noch von den besten Bestrebungen der Realisten, wie eine solche z.B. in dem eben erschienenen Programm Diesterweg’s Seite 36, so ausgedrückt wird: „In dem Mangel an Charakterbildung liegt die Schwäche unserer Schulen, wie die Schwäche unserer Erziehung überhaupt. Wir bilden keine Gesinnung.“ — zu unterscheiden, sage ich lieber, wir brauchen fortan eine persönliche Erziehung (nicht Einprägung einer Gesinnung). Will man diejenigen, welche diesem Principe folgen, wieder -isten nennen, so nenne man sie meinetwegen Personalisten.

Daher wird, um noch einmal an Heinsius zu erinnern, der „lebhafte Wunsch der Nation, dass die Schule dem Leben näher gerückt werden möchte“, nur dann erfüllt, wenn man in der vollen Persönlichkeit, Selbständigkeit und Freiheit das eigentliche Leben findet, da, wer nach diesem Ziele strebt, nichts des Guten, weder aus dem Humanismus noch aus dem Realismus aufgibt, wohl aber beides unendlich höher rückt und veredelt. Auch kann der nationale Standpunkt, welchen Heinsius einnimmt, noch nicht als der richtige gepriesen werden, da dies vielmehr erst der persönliche ist. Erst der freie und persönliche Mensch ist ein guter Bürger (Realisten), und selbst bei dem Mangel spezieller (gelehrter, künstlerischer u. s. w.) Kultur ein geschmackvoller Beurtheiler (Humanisten).

Soll daher am Schluss mit kurzen Worten ausgedrückt werden, nach welchem Ziel unsere Zeit zu steuern hat, so liesse sich der nothwendige Untergang der willenlosen Wissenschaft und der Aufgang des selbstbewussten Willens, welcher sich im Sonnenglanz der freien Person vollendet, etwa folgendermassen fassen: das Wissen muss sterben, um als Wille wieder aufzuerstehen und als freie Person sich täglich neu zu schaffen.

 


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