Max Stirner

Über Eigentum

(1844)

 


 

Anmerkung

Eine Schrift von beispielloser Klarheit, die das perverse Verhältnis zwischen Staat und Individuum in Bezug auf das Eigentum entlarvt.

Quelle: Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 1844.

 


 

Das Privateigentum lebt von der Gnade des Rechts. Nur im Rechte hat es seine Gewähr - Besitz ist ja noch nicht Eigentum, er wird erst »das Meinige« durch Zustimmung des Rechts »; es ist keine Tatsache, nicht un fait, wie Proudhon meint, sondern eine Fiktion, ein Gedanke.

Das ist das Rechtseigentum, rechtliches Eigentum, garantiertes Eigentum. Nicht durch Mich ist es mein, sondern durch's - Recht.
Dennoch ist Eigentum der Ausdruck für die unumschränkte Herrschaft über Etwas (Ding, Tier, Mensch), womit »Ich schalten und walten kann nach Gutdünken«.

Nach römischem Rechte freilich ius utendi et abutendi re sua, quatenus iuris ratio patitur, ein ausschliessliches und unumschränktes Recht; aber Eigentum wird durch Gewalt bedingt. Was Ich in der Gewalt habe, das ist mein eigen. Solange Ich Mich als Inhaber behaupte, bin Ich der Eigentümer der Sache; entgeht Mir's wieder, gleichviel durch welche Macht, z.B. durch mein Anerkenntnis eines Anrechts Anderer an die Sache, so ist das Eigentum erloschen. So fällt Eigentum und Besitz in Eins zusammen.

Nicht ein ausserhalb meiner Gewalt liegendes Recht legitimiert Mich, sondern lediglich meine Gewalt; habe Ich die nicht mehr, so entschwindet mir die Sache. Als die Römer keine Gewalt mehr gegen die Germanen hatten, gehörte diesen das Weltreich Rom, und es klänge lächerlich, wollte man darauf bestehen, die Römer seien dennoch die eigentlichen Eigentümer geblieben. Wer die Sache zu nehmen und zu behaupten weiss, dem gehört sie, bis sie ihm wieder genommen wird, wie die Freiheit Dem gehört, der sie sich nimmt.

Über das Eigentum entscheidet nur die Gewalt, und da der Staat, gleichviel ob Staat der Bürger oder der Lumpe oder der Menschen schlechthin, der allein Gewaltige ist, so ist er allein Eigentümer; Ich, der Einzige, habe nichts, und werde nur belehnt, bin Lehnsmann und als solcher Dienstmann. Unter der Herrschaft des Staates gibt es kein Eigentum Meiner.

Ich will den Wert Meiner heben, den Wert der Eigenheit, und sollte das Eigentum herabsetzen? Nein, wie Ich seither nicht geachtet wurde, weil man Volk, Menschheit und tausend andere Allgemeinheiten darüber setzte, so ist auch bis auf diesen Tag das Eigentum noch nicht in seinem vollen Werte anerkannt worden. Auch das Eigentum war nur Eigentum eines Gespenstes, z.B. Volkseigentum; meine ganze Existenz »gehörte dem Vaterlande«: Ich gehörte dem Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch alles, was Ich mein eigen nannte.

Man fordert von den Staaten, sie sollen den Pauperismus beseitigen. Mir scheint, das heisst verlangen, der Staat solle sich selbst den Kopf abschneiden und vor die Füsse legen; denn solange der Staat das Ich ist, muss das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht-Ich sein. Der Staat hat nur ein Interesse daran, selbst reich zu sein; ob Michel reich und Peter arm ist, gilt ihm gleich; es könnte auch Peter reich und Michel arm sein. Er sieht gleichgültig zu, wie der eine verarmt, der Andere reich wird, unbekümmert um dies Wechselspiel.

Als Einzelne sind sie vor seinem Angesichte wirklich gleich, darin ist er gerecht: sie sind beide vor ihm - Nichts, wie Wir »vor Gott allzumal Sünder sind«, dagegen hat er ein sehr grosses Interesse daran, dass diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen, an seinem Reichtum Teil haben: er macht sie zu Teilnehmern an seinem Eigentum. Durch Eigentum, womit er die Einzelnen belohnt, kirrt er sie; es bleibt aber sein Eigentum, und jeder hat nur so lange den Niessbrauch davon, als er das Ich des Staates in sich trägt, oder ein »loyales Glied der Gesellschaft« ist; im Gegenfalle wird das Eigentum konfisziert oder durch peinliche Prozesse zu Wasser gemacht. Das Eigentum ist und bleibt sonach Staatseigentum, nicht Eigentum des Ichs.

Dass der Staat nicht willkürlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat, ist nur dasselbe, wie dies, dass der Staat sich selbst nicht beraubt. Wer ein Staats-Ich, d.h. ein guter Bürger oder Untertan ist, der trägt als solches Ich, nicht als eigenes, das Lehen ungestört. Dies nennt der Kodex dann so: Eigentum ist, was ich »von Gottes und Rechts wegen« mein nenne. Von Gottes und Rechts wegen ist es aber nur mein, solange - der Staat nichts dagegen hat.

In den Expropriationen, Waffenablieferungen und Ähnlichem (wie denn z.B. der Fiskus Erbschaften einzieht, wenn die Erben sich nicht zeitig genug melden) springt ja das sonst verdeckte Prinzip, dass nur das Volk, »der Staat«, Eigentümer sei, der Einzelne hingegen Lehnsträger, deutlich in die Augen.
Der Staat, dies wollte Ich sagen, kann nicht beabsichtigen, dass Jemand um sein[er] selbst willen Eigentum habe, oder gar reich, ja nur wohlhabend sei, er kann Mir als Mir nichts zuerkennen, zukommen lassen, nichts gewähren.

Der Staat kann dem Pauperismus nicht steuern, weil die Pauvretät des Besitzes eine Pauvretät Meiner ist. Wer nichts ist, als was der Zufall oder ein Anderer, nämlich der Staat, aus ihm macht, der hat ganz mit Recht auch nichts, als was ein Anderer ihm gibt. Und dieser Andere wird ihm nur geben, was jener verdient, d.h. was er durch Dienen wert ist. Nicht Er verwertet sich, sondern der Staat verwertet ihn.

Die Nationalökonomie beschäftigt sich viel mit diesem Gegenstande. Er liegt indes weit über das »Nationale« hinaus und geht über die Begriffe und den Horizont des Staats, der nur Staatseigentum kennt und nur dieses verteilen kann. Deshalb knüpft er den Besitz des Eigentums an Bedingungen, wie er alles daran knüpft, z.B. die Ehe, indem er nur die von ihm sanktionierte Ehe gelten lässt, und sie meiner Gewalt entreisst. Eigentum ist aber nur mein Eigentum, wenn Ich dasselbe unbedingt inne habe: nur Ich, als unbedingtes Ich, habe Eigentum, schliesse ein Liebesverhältnis, treibe freien Handel.

Der Staat bekümmert sich nicht um Mich und das Meine, sondern um Sich und das Seine: Ich gelte ihm nur als sein Kind etwas, als »Landeskind«, als Ich bin Ich gar nichts für ihn. Was Mir als Ich begegnet, ist für den Verstand des Staates etwas Zufälliges: mein Reichtum wie meine Verarmung. Bin Ich aber mit allem Meinigen für ihn ein Zufall, so beweist dies, dass er Mich nicht begreifen kann: Ich gehe über seine Begriffe, oder sein Verstand ist zu kurz, um Mich zu begreifen. Darum kann er auch nichts für Mich tun. Der Pauperismus ist die Wertlosigkeit Meiner, die Erscheinung, dass Ich Mich nicht verwerten kann. Deshalb ist Staat und Pauperismus

Ein und dasselbe. Der Staat lässt Mich nicht zu meinem Werte kommen und besteht nur durch meine Wertlosigkeit: er geht allezeit darauf aus, von Mir Nutzen zu ziehen, d.h. Mich zu exploitieren, auszubeuten, zu verbrauchen, bestände dieser Verbrauch auch nur darin, dass Ich für eine proles sorge (Proletariat); er will, Ich soll »seine Kreatur« sein.

Nur dann kann der Pauperismus gehoben werden, wenn Ich als Ich Mich verwerte, wenn Ich Mir selber Wert gebe, und meinen Preis selber mache.

Ich muss Mich empören, um emporzukommen.

 


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